Jugendliche wünschen sich eine lebenswerte Zukunft

jungezielgruppen.de sprach mit dem Jugendforscher Simon Schnetzer über die aktuelle Situation der Jugendlichen von heute, die Auswirkungen von Corona und die wichtigsten Zukunftsthemen.

Der studierte Volkswirt hat sich nach beruflichen Stationen in Berlin, Genf, London und Nairobi in seiner Heimat als Jugendforscher, Speaker und Trainer selbständig gemacht. Seit 2010 veröffentlicht er die Studie "Junge Deutsche", um die Veränderung der Lebens- und Arbeitswelten zu erforschen und zu gestalten. Heute zählt er zu den Top-Speakern und Führungskräftetrainern für die "Generation Y" und "Generation Z".

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(c) piomars

jungezielgruppen.de: Wie geht es den Jugendlichen heute?

Simon Schnetzer: "Schulen, Clubs und Fitnessstudios sind wieder offen und und alle schreien 'Hurra'. Klingt fast, als wäre alles wieder gut, sofern man bereit ist sich impfen zu lassen, oder regelmäßig testen geht. Doch die Antwort auf die Frage ist komplex und zum Teil fehlen einfach noch die wissenschaftlichen Erkenntnisse!

Schulen, Hochschulen und Ausbildungsbetriebe stehen vielfach vor einem großen Rätsel: Was ist in der Zeit des Lockdowns mit den jungen Menschen passiert. Fälle von häuslicher Gewalt und psychischen Schäden sind keine Einzelfälle. Viele benötigen intensives Coaching oder zum Start einfach mal jemanden, der/die ihnen zuhört.

Es gibt andere, die in dieser Zeit in sozialen Netzwerken voll durchgestartet sind und eine Erfolgsgeschichte nach der anderen posten. Das Bild ist vielschichtig, eine pauschale Aussage würde dem Zustand der Jugend nicht gerecht werden."

jungezielgruppen.de: Nach der langen Zeit der Corona-Einschränkungen scheint die junge Generation am Ende ihrer Geduld zu sein. Woran liegt das?

Simon Schnetzer:" 'Die Jugend am Ende ihrer Geduld' war der Untertitel der im Sommer 2021 von mir und Prof. Klaus Hurrelmann veröffentlichten Sonderstudie 'Jugend und Corona in Deutschland'. Dieses Fazit haben wir gezogen, weil über die Hälfte der Befragten durch die knapp anderthalb Jahre Corona-Pandemie psychisch erschöpft ist und das Gefühl hat, keine bessere Perspektive zu haben als abzuwarten … ohne Ende in Sicht. Als im Sommer die Behörden die Auflagen trotz sinkender Inzidenzen nicht lockerten, eroberten Jugendliche die Parks, als einzig verbleibende Rückzugsorte. Dort wurden sie von Polizei vertrieben – viele gingen heim, manche protestierten und es artete in Krawallnächten aus. Diese Bereitschaft für zivilen Ungehorsam ist ein starkes Signal an die Politik, dass die Entbehrungen der Pandemie-Zeit viel tiefere Narben hinterlassen hat, als bishe angenommen."

jungezielgruppen.de: In der Studie "Jugend und Corona in Deutschland" haben viele junge Menschen gesagt, dass sie sich zunehmend ungerecht behandelt fühlen. Wie kommt das?

Simon Schnetzer: "Eines der häufigsten Statements am Ende dieser Studie war: 'Endlich interessiert sich jemand dafür, wie es uns geht.', oder: 'Von der Politik fühle ich mich komplett ignoriert. Als würden die Bedürfnisse von Jugendlichen nicht zählen'.

Der Wunsch nach mehr und besserer Beteiligung besteht schon länger bei Jugendlichen. Doch was das Gerechtigkeits-Pendel so richtig aus dem Ungleichgewicht brachte, war die Impfstrategie in Kombination mit der anhaltenden Einschränkung von Freiheitsrechten. Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen hat sich in der Pandemie rücksichtsvoll verhalten, um Ältere und Risikogruppen nicht zu gefährden. Sie haben diesen Gruppen bereitwillig Impf-Vorrang gewährt und fühlten sich dann verarscht, als sie weiterhin eingeschränkt waren, während die Älteren wieder reisen durften. Hier hätten sie sich mehr Solidarität gewünscht. Es ist allerdings noch unklar, wie sehr dieses Ungerechtigkeitsgefühl anhält, nachdem es nun ein Impfangebot auch für 12- bis 18-Jährige gibt und immer mehr Angebote von Schule über Freizeit / Hobbys und Nachtleben wieder in Präsenz möglich sind."

(c) piomar

jungezielgruppen.de: Vor Corona war der Klimaschutz das beherrschende Jugend-Thema. Spielt das  Thema Klimaschutz bei den Jugendlichen gar keine Rolle mehr?

Simon Schnetzer: "Der Klimaschutz spielt auch weiterhin eine wichtige Rolle und für viele die alles entscheidende. Doch das größere Thema, das alle Jugendlichen vereint ist der Wunsch nach einer lebenswerten Zukunft. Was bedeutet das? Intakte Umwelt, die Perspektive auf ein Leben in Wohlstand und die Freiheit (wieder) haben, das Leben so zu führen, wie man möchte. Diese umfassende Definition erklärt auch das starke Abschneiden der Grünen und der FDP bei den Bundestagswahlen unter jungen WählerInnen."

jungezielgruppen.de: Werden wir neben "Generation Z" und "Generation alpha" auch mit einer "Generation Corona" leben müssen?

Simon Schnetzer: "Innerlich sträube ich mich gegen den Begriff: Generation Corona. Als temporäre Bezeichnung finde ich es ok, für dauerhaft finde ich es unpassend, jungen Menschen einzelne Ereignisse als Generationen-prägende Merkmale zu verpassen. Die wichtige Frage ist ja, in welcher Weise die Pandemie junge Menschen für immer prägen wird. Besonders hart trifft es aktuell die jungen Menschen, die sich in der Lebensphase der schulisch-beruflichen Übergänge befinden und aufgrund der Pandemie schlechtere Voraussetzungen haben, weil sie unter anderen Bedingungen lernen und Prüfungen schreiben mussten, weniger Praxiserfahrungen sammeln konnten und Sorge haben, dass ihr Abschluss genauso viel wert ist, wie der von früheren oder späteren Jahrgängen. Insofern wird es Jahrgänge geben, die besonders hart von Corona getroffen wurden. Eine Generation Corona sehe ich keine."

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jungezielgruppen.de: Corona bringt auch viele Herausforderungen für das Recruiting. Was müssen Arbeitgeber jetzt bei der Ansprache der "Generation Z" beachten? 

Simon Schnetzer: "Ganz wichtig wird jetzt sein, dass man die BewerberInnen und noch mehr die potenziellen BewerberInnen abholt. Das heißt mehr zuhören, um sicher zu gehen, dass ein Start in die Ausbildung oder in den Beruf mit der erfoderlichen Unterstützung erfolgen kann. Die Zeit der Pandemie hat stark an der Motivation und dem Selbstwertgefühl der Jugendlichen gekratzt. Viele benötigen zusätzlich zu einer passenden Stellenausschreibung ein wenig Mut zugesprochen, dass sie sich bewerben können. Und im Arbeitsalltag müssen viele erst wieder lernen, dass Lernen und Arbeiten im Betrieb nicht immer Homeoffice und Schlabberlook bedeutet, sondern dass dort andere Regeln herrschen. Aus meiner Erfahrung bewährt es sich in Workshops oder ähnlichen Situationen gemeinsam Regeln zu entwickeln und Verständnis zu schaffen."

jungezielgruppen.de: Wie können die  Zahlen für Ausbildungs- und Studienbewerbungen so gering sein? Was machen die ganzen Jugendlichen jetzt?

Simon Schnetzer: "Eine sehr spannende Frage, auf die wir noch keine Antwort haben. Für dienliche Hinweise bin ich Ihnen sehr dankbar. Die Antwort auf diese Frage wird spätestens die nächste Studie 'Jugend in Deutschland: Trendstudie Winter 2021/22' liefern".

Wir bedanken uns bei Simon Schnetzer für das Interview.

Weitere Infos auf Simon-Schnetzer.com

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jungezielgruppen.de berichtete auch über die Studie "Plan B" von Simon Schnetzer.

 

 

 

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