Schöne Models mit hässlichen Helmen

Das Bundesverkehrsminsiterium (BMVI) von Minister Scheuer ist immer wieder für Überraschungen gut. So auch bei einer aktuellen Kampagne für die Benutzung von Fahrradhelmen, bei der das Ministerium mit "Germany`s Next Topmodel" kooperiert.

Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) sind jungen Radfahrenden die Gefahren und das persönliche Risiko eines schweren Fahrradunfalls durchaus bewusst. Trotzdem tragen die wenigsten immer einen Fahrradhelm, denn er gilt als unpraktisch, unbequem und unästhetisch. Eine neue Kampagne von BMVI und DVR in Kooperation mit Starfotograf Rankin und "Germany’s next Topmodel" soll das ändern.

Laut der forsa-Umfrage besitzen die meisten jungen Radfahrenden entweder keinen Helm (40 Prozent) oder tragen ihn nur selten (10 Prozent) oder nie (6 Prozent). Dabei sind den jungen Befragten die Gefahren im Straßenverkehr sehr bewusst: Insgesamt 43 Prozent der Radfahrerinnen und -fahrer schätzen laut Umfrage ihr persönliches Risiko eines schweren Fahrradunfalls mit Kopfverletzung als sehr groß oder eher groß ein. Am häufigsten fürchten sich die jungen Erwachsenen bei einem Fahrradunfall vor einem Zusammenstoß mit Pkw-, Lkw- oder Motorradfahrern (59 Prozent).

Mehr als die Hälfte (53 Prozent) gibt darüber hinaus an, selbst schon einen Fahrradunfall mit Verletzung gehabt zu haben. Und obwohl sich fast alle Befragten (95 Prozent) einig sind, dass ein Fahrradhelm der beste Schutz gegen Kopfverletzungen ist, nutzt nur etwa ein Viertel aller Befragten (28 Prozent) immer einen Helm.

"Germany’s next Topmodel"-Kandidatin Alicija ist eines der Gesichter der neuen Fahrradhelm-Aktion

Die Helmtragequote unter jungen Erwachsenen ist noch deutlich zu niedrig, zumal Radfahrende als ungeschützte Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer im Straßenverkehr besonders gefährdet sind.

Die starken Aktionsmotive von Alicija und weiteren Models werden – unterstützt durch den Kooperationspartner Wall GmbH – seit Mitte März in deutschen Großstädten wie Berlin, Hamburg, Köln und München als City-Light-Poster an Straßen und Fahrradwegen zu sehen sein.

Unter www.runtervomgas.de/Fahrradhelm und in sozialen Netzwerken ruft "Runter vom Gas" außerdem unter dem Hashtag #HelmerettenLeben dazu auf, es Alicija und den anderen Models gleichzutun und ein Foto mit einem Fahrradhelm zu posten. Unter allen Teilnehmern werden zehn von Rankin und Alicija signierte Fahrradhelme sowie Aktionskalender verlost.

Eigentlich keine schlechte Idee

Die Kooperation mit der ProSieben-Sendung ist eigentlich keine schlechte Idee, denn gerade junge Mädchen tun sich mit dem Thema Fahrradhelm sehr schwer. Gleichzeitig fragt man sich, warum die jungen Models nur leicht bekleidet Fahrrad fahren müssen, damit setzt sich die Kampagne unnötigerweise dem Vorwurf des Sexismus aus. Klar ist, dass man damit in die Presse kommt (das hat geklappt), doch kommt es auch positiv in der Zielgruppe an? Junge Models in coolen Fahrradklamotten, das wäre es gewesen. Jetzt gibt es viel Ärger, beispielsweise fordern die SPD-Frauen, die 400.000 € teure Kampagne zu stoppen.

Kampagne setzt falsche Akzente

Womit wir beim eigentlichen Problem der Kampagne sind. Will sie nicht deutlich machen, wie "cool" Fahrradhelme sein können? Warum werden dann hässliche 0815-Modelle gezeigt? Sind die dargestellten Helme nicht nur "cool" auf dem Kopf von Models, die unglaublich schön aussehen? Warum nur zeigt die Kampagne nicht die unzähligen wirklich "coolen" Helme, die es mittlerweile gibt? Das bleibt das Geheimnis der Macher, die offensichtlich vor allem den PR-Effekt erzielen wollten.

Inzwischen haben sogar das rheingold Institut und die rheingold Akademie mit Hilfe von Tiefeninterviews und eigener Analysen untersucht, ob die Fahrradhelm-Kampagne des Bundesverkehrsministeriums in die richtige Richtung geht. Die Experten begrüßen, dass in der Kampagne die "passiven Schlafzimmer-Helden auf den Plakaten das Dilemma von ’sexy' und ’safety' wachrütteln und "an unser Gewissen appellieren". Doch sie bemängeln gleichzeitig, dass sie "das Gefühl von Freiheit beim Fahrradfahren ignorieren" und "eher Spott, Kritik und Widerstand als eine neue Lust auf den Helm" stimulieren, so die Analysten von rheingold. "Statt pädagogisch über das Dilemma von ’safety' und ’sexy' aufzuklären, hätte die Kampagne es psychologisch auflösen können".

Dabei zeigte sich in der Analyse der Studie die Offenheit für den Helm in sportlichen Kontexten als ein möglicher strategischer Schlüssel: "Würden Fahrten im Alltag ebenfalls als ein sportliches Abenteuer inszeniert, könnte der Helm als selbstverständliche Ausrüstung passen", so die Experten von rheingold.

Hintergrund "Runter vom Gas"

Initiatoren der Verkehrssicherheitskampagne "Runter vom Gas" sind das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR). Mit einer emotionalen Ansprache will "Runter vom Gas" seit 2008 für Risiken im Straßenverkehr sowie eine Vielzahl von Unfallursachen sensibilisieren und will damit für mehr Sicherheit auf deutschen Straßen sorgen. Im Jahr 2017 verloren 3.180 Personen ihr Leben im Straßenverkehr. 2011 waren es noch 4.009 Getötete. Im selben Jahr wurde im nationalen Verkehrssicherheitsprogramm das Ziel von 40 Prozent weniger Todesopfern im Straßenverkehr bis 2020 definiert.

Bildbeiträge: © BMVI/ "Runter vom Gas"

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