Die Jugend steht unter "Kriegs-Schock"

Die Sorge vor einem Krieg in Europa schockiert junge Menschen, wie die aktuelle Trendstudie "Jugend in Deutschland – Sommer 2022″ zeigt. Demnach ist ein ungewöhnlich hoher Anteil von 68% der befragten 14- bis 29-Jährigen von der Sorge eines Krieges in Europa geprägt. Ein Krieg, der jeglichen Wohlstand und all ihre Zukunftsperspektiven infrage stellt, war für viele junge Menschen in Deutschland bisher unvorstellbar und sie sind sichtlich verstört, weil sie keine Antwort darauf kennen.

"Die Mehrheit der jungen Menschen ist verunsichert und will keinen Krieg", sagt Simon Schnetzer. "Bis vor fünf Monaten stand der Klimawandel an der ersten Stelle der Sorgen, die sich Angehörige der jungen Generation mit Blick auf die Zukunft machen. Aktuell hat sich die Sorge vor einem Krieg in Europa eindeutig an die erste Stelle geschoben. Die Angstschwelle bei den befragten 14- bis 29-Jährigen ist dramatisch hoch". Interviews mit Jugendlichen zeigen, dass die allermeisten von ihnen in keiner Weise mit dieser Zuspitzung der Lage in der Ukraine gerechnet haben, sehr besorgt sind und nicht begreifen können, wofür im Jahr 2022 überhaupt noch Krieg geführt wird. Was sie frustriert, ist das Gefühl der Ohnmacht gegen diesen Krieg.

Große Sorge vor der Ausbreitung des Krieges

Jugendforscher Simon Schnetzer | Bild (c) piomars

Die Angst davor, dass sich der Krieg in der Ukraine auf ganz Europa ausweiten wird, ist in der jungen Generation groß. Insgesamt 45% der 14- bis 29-Jährigen haben große Angst vor einer Ausweitung des Krieges auf Europa, 31% sind hier unsicher und nur 23% machen sich kaum Sorgen darum. "Diese Sorgen legen sich über die noch nicht verheilten psychischen Narben der Corona-Pandemie. Wie die letzte Erhebung vom Winter 2021 zeigte, hat sich fast die Hälfte der jungen Generation noch nicht von den Belastungen und Einschränkungen der Corona-Pandemie erholt. Sie trägt weiter schwer an den psychischen Belastungen und sozialen Beeinträchtigungen. Das gilt vor allem für Jugendliche aus wirtschaftlich benachteiligten Familien. Die Kriegsangst setzt ebenso wie die Pandemie gerade ihnen sehr zu. Sie befürchten nun erneut größere Schwierigkeiten für ihre berufliche und persönliche Entfaltung" so Klaus Hurrelmann.

Bei den erwarteten Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf das Leben in Deutschland zeigt sich ein klares Bild: Am ehesten erwarten Jugendliche und junge Erwachsene Preissteigerungen, welche sie schon jetzt zum Teil wahrnehmen und in ihren Folgen einschätzen können. Eine Verteuerung der Energie- und Rohstoffpreise erwarten 71%, während 65% davon ausgehen, dass die Inflation in Form von Preissteigerungen und Geldabwertung weiter zunehmen wird.

Neben die wirtschaftlichen Folgen tritt die Erwartung von Folgen mit schwerwiegenden Auswirkungen auf Lebenssituation, Perspektive und Psyche junger Menschen: 42%, erwarten, dass ein Leben mit Angst vor Krieg zum Dauerzustand werden könnte, und 28% gehen von einer Ausweitung des Kriegs auf Deutschland aus. Insgesamt erwarten 23%, dass es zu einer aktiven Beteiligung von jungen Deutschen als Soldaten und Soldatinnen kommt. Ebenfalls 23% rechnen mit dramatischen Auswirkungen auch in Deutschland durch den Einsatz von Atomwaffen. Erschreckende 13% der Befragten jungen Leute gehen sogar davon aus, dass sie möglicherweise von ihrem Wohnort fliehen müssen. "Die Dramatik der Lage ist der jungen Generation voll bewusst. Die Jugend ist fassungslos und verstört, weil es in ihren Augen keinen Krieg mehr geben dürfte und die lang ersehnte Erholung von der Pandemie wieder in weite Ferne rückt" resümiert Simon Schnetzer.

Jugend hält wenig von Aufrüstung und setzt auf Vorsicht

Bei der Zustimmung für politische Maßnahmen im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine zeigen die Befragten eine eher moderate Einstellung. Trotz der hohen Sorgen vor einem Krieg in Europa werden umfassende Sanktionen gegen Russland nur von 57% befürwortet. Möglicherweise haben die jungen Menschen dabei die steigenden Energiepreise und die Inflation vor Augen und reagieren eher zurückhaltend. Die Entscheidung der Bundesregierung, die Ausgaben für Militär und Verteidigung zu erhöhen, erhält nur von 43% Unterstützung, wohingegen 22% sie klar ablehnen. Die Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union und die Lieferung von Waffen in die Ukraine werden von jeweils etwa 40% unterstützt, stoßen aber bei 25% auch auf Ablehnung.

Gefragt wurde in der Studie auch nach der Wiedereinführung des Wehrdienstes, der im März 2011 ausgesetzt wurde. Hier zeigt sich ein ganz eindeutiges Ergebnis: Die Wiedereinführung des Wehrdienstes nach Abschluss der Schulzeit wird massiv abgelehnt. Diese Maßnahme findet nur bei 18% Zustimmung und wird von 50% zurückgewiesen.

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Klaus Hurrelmann fasst zusammen: "Von einer Wehrbereitschaft in der jungen Generation kann nicht die Rede sein. Vielmehr halten sich die befragten 14- bis 29-Jährigen auffällig bedeckt und sind nicht bereit, beim jetzigen Stand der Bedrohung des Friedens in Europa schon aktiv tätig zu werden. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sie als junge Generation nicht im Geringsten auf eine mögliche Kriegsgefahr vorbereitet wurden".

Hintergrundinformationen zur Studie

"Jugend und Krieg in Europa" ist eine Vorab-Themenauskoppelung der Trendstudie "Jugend in Deutschland – Sommer 2022", die voraussichtlich am 3. Mai 2022 veröffentlicht wird. Sie erscheint als Studienserie seit dem Herbst 2020 in halbjährlichem Turnus. In die repräsentative Studie unter Leitung der Jugendforscher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann wurden insgesamt 1.021 junge Leute im Alter von 14 bis 29 Jahren einbezogen. Die Erhebung wurde im Zeitraum vom 9. bis zum 21. März 2022 durchgeführt. Inhaltlich und methodisch werden die Trend- und Jugendstudien von Simon Schnetzer geleitet und von Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Hurrelmann (Hertie School) beraten.

www.simon-schnetzer.com

www.jungedeutsche.de